LED-Lichtershow in Wuhan, um das Ende des zehn Wochen andauernden Lockdowns am 8. April 2020 zu feiern. Quelle: picture alliance/Zhao Guangliang/HPIC/dpa.
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Corona-Epidemie: China zwischen Rückkehr zur Normalität und Angst vor der zweiten Welle

China Update 7/2020

Metrix

Rund 230 politische Parteien weltweit haben einen von der KPC initiierten Brief unterzeichnet, in dem sie eine engere internationale Zusammenarbeit gegen das Coronavirus fordern. Gleichzeitig wird in dem Schreiben China für seinen Umgang mit der Epidemie gelobt. 

Thema der Woche: Die Corona-Epidemie hat China verändert

Während viele Chinesen immer noch Masken tragen und Universitäten und Kinos weiter geschlossen bleiben, vermitteln Schlagzeilen von einem Besucheransturm auf das Huangshan-Gebirge, Parks und Shoppingmalls sowie die Öffnung von Schulen in einigen Provinzen eine langsame Rückkehr zur Normalität. Selbst in der am stärksten betroffene Stadt Wuhan ist Entspannung erkennbar. Am Mittwoch wurden nach mehr als zehn Wochen die strikten Ausgangssperren gelockert. Die Stadt feierte dies mit einer bunten LED-Lichtershow. Doch Reisebeschränkungen zwischen Städten und Regionen sowie die technische Überwachung von Bewegungen und Gesundheitszustand mit Hilfe von Apps bleiben weiterhin in Kraft. Ein Landkreis musste bereits wieder zur Ausgangssperre zurückkehren, aus Sorge vor einer erneuten Verbreitung des Virus. 

Anlässlich des Qingming-Festes – dem Totengedenkfest – gedachten die Chinesen am vergangenen Samstag in vielen Landesteilen drei Minuten lang offiziell den Märtyrern, die gegen die Ausbreitung der Corona-Epidemie gekämpft hatten. Von einer kritischen Aufarbeitung aber ist die Regierung weit entfernt. In Wuhan und anderen Orten waren Zusammenkünfte von Angehörigen verboten worden, die an die Toten erinnern wollten. Gleichzeitig weckten Bilder von langen Schlangen vor Leichenhäusern in Wuhan neue Zweifel an den offiziell bestätigten Todeszahlen. Die Menschen warteten darauf, die Urnen ihrer Angehörigen in Empfang zu nehmen. 

Die chinesische Führung mahnt mit Verweis auf die verbleibenden Vorsichtsmaßnahmen zwar zur Achtsamkeit, doch offiziell ist von der Sorge vor einer zweiten Infektionswelle eher selten die Rede. Die Botschaft, die China im eigenen Land ebenso wie international propagiert, lautet: Wir haben die Epidemie besiegt. Kritische Inhalte werden weiterhin zensiert, Kritiker bleiben verschwunden oder es werden Disziplinarmaßnahmen eingeleitet, wie im Fall des einflussreichen Immobilien-Tycoons Ren Zhiqiang. Ren hatte Xi Jinping für den Umgang mit der Seuche offen kritisiert. 

Der knapp drei Monate dauernde Shutdown hat das Land vermutlich bereits jetzt mehr verändert, als es sich viele vorstellen konnten. Die Folgen der Corona-Krise dürften noch lange spürbar sein, nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch im gesellschaftlichen Miteinander. So gab es bereits zahlreiche Protestaktionen: Arbeiter aus verschiedensten Branchen forderten finanzielle Unterstützung, Taxifahrer verlangten die Befreiung von Miet- und Lizenzzahlungen. Bei Auseinandersetzungen an der Grenze zwischen den Provinzen Hubei und Jiangxi wurde deutlich, welches Stigma jenen anhaftet, die aus besonders betroffenen Regionen stammen.  

Auch die psychischen Folgen der andauernden Isolation von mehr als 700 Millionen Menschen und der Dauerbelastung von Ärzten, Schwestern und Pflegern werden deutlich. Es ist bereits von einem steilen Anstieg psychischer Erkrankungen wie Depressionen, Angst- und post-traumatischen Störungen die Rede. Die chinesische Führung hat eine Reihe von Initiativen zur psychischen Gesundheit gestartet und Gruppen von Sozialarbeitern entsandt, die psychologische Beratung anbieten. Angesichts der Unterversorgung der chinesischen Bevölkerung in diesem Bereich könnte dies zu einer wichtigen politischen Aufgabe werden. In einem Artikel in der Parteizeitschrift Qiushi wird die Versorgung psychisch Erkrankter sogar als entscheidend für den Umgang mit der Epidemie gewertet, weil psychologische Probleme zu einer versteckten Gefahr für die von der chinesischen Führung als besonders wichtig propagierten „sozialen Stabilität“ werden könnten. 

MERICS Analyse: “Nach Monaten der sozialen Distanz und häuslichen Isolation, aber auch angesichts des Zerbrechens beruflicher Existenzen werden nun große Hoffnungen in die Normalisierung des Lebens gesetzt. Doch hinter allem steht die Gefahr einer zweiten Welle. Dies zeigt sich auch an dem Zick-Zack-Kurs zwischen Wiederöffnung und Schließung von öffentlichen Orten wie Schulen oder Kinos, den viele Lokalregierungen verfolgen.“ Katja Drinhausen, Analyst bei MERICS. 

Lesen dazu auch den Gastbeitrag von Kristin Shi-Kupfer in der Neuen Züricher Zeitung: Eingemauert unter Xi Jinping – die Corona-Krise hinterlässt eine zutiefst verunsicherte und zunehmend unberechenbare chinesische Gesellschaft. 

China und die Welt

Corona-Epidemie in Europa bietet Chancen für chinesische Tech-Firmen

Chinesische Tech-Unternehmen bieten europäischen Regierungen datengestützte Hilfe im Kampf gegen das Coronavirus an. Auf diese Weise könnten sie auf dem europäischen Markt für „Smart Health“ Fuß fassen. Diagnosewerkzeuge, die auf Cloudnetzwerke und künstliche Intelligenz (KI) setzen und in China während der Hochphase der Pandemie eingesetzt wurden, haben chinesische Tech-Firmen nun begonnen, in der EU zu vermarkten. Im Blick haben sie dabei Krankenhäuser und Gesundheitsbehörden. 

So stellte Alibaba Clound, das Cloud-Computing Tochterunternehmen von Alibaba, seine Software zur schnellen Diagnose des Coronavirus anhand von CT-Scans in Italien, Frankreich und den Niederlanden vor. Der Telekommunikationsriese Huawei bot Krankenhäusern in Italien WLAN-Geräte, Zugang zu einer Cloud-Plattform sowie die Einrichtung von Videokonferenzen in Krisenregionen an. Und medizinische KI-Start-ups wie Infervision vertreiben digitale Lösung für das Gesundheitswesen. 

„Entscheidungsträger müssen genau die Risiken abwägen und gleichzeitig Offenheit gegenüber Kooperationen zeigen, die versprechen, Leben zu retten“, sagt Rebecca Arcesati, Analystin am MERICS. „In Italien gibt es Bedenken hinsichtlich einer Beteiligung von Huawei an der Einrichtung von Klinik-Cloud-Netzwerken. Denn dadurch könnte ein potenziell unseriöser Anbieter Zugang zu kritischer Infrastruktur und sensiblen Daten erhalten.“

MERICS Analyse: 

China’s fight against COVID-19 - Clicking for a cure. Blogbeitrag von Kai von Carnap. 

Corona sorgt für Diskriminierung von Ostasiaten

Die Tatsache, dass das neue Coronavirus seinen Ursprung in China hat, hat weltweit zu einer Zunahme von Diskriminierungen und Gewalt gegenüber Menschen mit asiatischem Aussehen geführt. Umstrittene Social-Media-Einträge und fahrlässige Berichterstattung der Medien beförderten diesen Trend. Seit US-Präsident Donald Trump das Coronavirus als „chinesisches Virus“ bezeichnete und erst nach Protesten von US-Bürgern asiatischer Abstammung nachgab, verschärfte sich die Lage zunehmend. 

Alte Vorurteile über Chinesen im Stil der „gelben Gefahr“, etwa dass diese Krankheiten und asoziales Verhalten verbreiten, prägten zum Teil die ausländische Berichterstattung. Das Misstrauen gegenüber Chinas Parteistaat könnte Leser in aller Welt für solchen Fehlinformationen anfällig machen. So wurde beispielweise verbreitet, Überseechinesen würden Hamstervorräte anlegen, um diese nach China zu schicken. In britischen Berichten wiederum hieß es, China hätte das Virus absichtlich freigesetzt, um andere Nationen anzugreifen. 

"Bedrohungsbilder von China drohen die Feindseligkeit gegenüber Menschen zu fördern, die ostasiatisch aussehen", sagt MERICS-Analyst John Lee. "Berichte über eine solche Diskriminierung können vom chinesischen Staat politisch ausgenutzt werden."  

China nutzt Corona-Krise, um seine besondere Rolle bei der Unterstützung von Entwicklungsländern zu betonen – Interview mit Matt Ferchen

Kaum scheint das Coronavirus in China unter Kontrolle, richtet Beijing seinen Blick nach außen und verspricht anderen Nationen Hilfe. US-Außenminister Mike Pompeo sagte kürzlich, "Länder sollten sich vor autoritären Regimen mit leeren Versprechungen hüten". In unserem neuesten Podcastfolge spricht Matt Ferchen, Leiter Global China Research am MERICS, über Chinas Rolle in der internationalen Entwicklung. 

Wie hat der Ausbruch des Coronavirus Chinas Rolle als Entwicklungsakteur verändert? 

Die USA und Europa haben viel über Chinas Schuld an der verspäteten Eindämmung des Virus diskutiert. Aber auch darüber, dass chinesische Hersteller von Schutzausrüstung (PSA) eine wichtige Rolle für die weltweite Bekämpfung des Virus spielen. Beijing befeuert den Diskurs über Chinas eigenen, als wirksam empfundenen Umgang mit der Krise und die spätere Bereitschaft, anderen zu "helfen". So wird zunehmend über Chinas "Politik der Großzügigkeit" gesprochen - aber auch Kritik daran geäußert, weil diese Großzügigkeit in Wirklichkeit eigennützige Propaganda sein könnte.  

Chinesische Regierungsvertreter sehen in der Pandemie eine Gelegenheit, um zu zeigen, dass China sowohl reichen als auch armen Ländern „zur Rettung“ kommen kann. Mit Chinas Reaktion auf die Krise und insbesondere mit den Bemühungen, die Idee einer „Health Silk Road“ - begleitend zur stärker infrastrukturorientierten Belt and Road-Initiative (BRI) - wiederzubeleben, hebt es die eigene Fähigkeit hervor, Entwicklungsländern bei der Überwindung der Krise zu helfen. China riskiert jedoch, Erwartungen zu schüren, die es nicht erfüllen kann.  

Warum war Chinas internationale Entwicklungsrolle schon vor der Pandemie umstritten? 

Erstens, weil China das, was es als Entwicklungsakteur tut, ganz anders darstellt, als es insbesondere im Westen empfunden wird. China sagt, dass Entwicklung eine Lösung für fast alle Probleme im In- und Ausland ist. Hier ist die Sprache vom „Win-Win“-Effekt. Chinas Förderung von Handel, Investitionen und Finanzen generiere „für beide Seiten vorteilhafte Beziehungen“. Doch US-Außenminister Pompeo widerspricht hier. Er sagt, dass China in Regionen wie Afrika und Lateinamerika ein ungeeigneter Akteur ist, da er nicht überall Win-Win“-Ergebnisse liefern kann. Er impliziert, China würde wirtschaftspolitische Maßnahmen einsetzen, um Einfluss auf andere zu nehmen. Zweitens führen von Chinas gesponserten Infrastrukturprojekte mitunter zu Problemen: Verschuldung von Partnerländern, Auswirkungen auf die Umwelt und Folgen für die lokalen Gemeinschaften sind hier zu nennen. Wieder sagen die Chinesen, dass sie ihren Partnern positive Entwicklungen bringen. Und viele Stimmen - aus den USA, aber auch aus Partnerländern – entgegnen: „Vielleicht läuft es nicht so reibungslos wie Ihr es darstellt.“ 

Was bedeuten diese unterschiedlichen Visionen der internationalen Entwicklung für die Europäische Union? 

Entwicklung, wie sie von den meisten westlichen Ländern verstanden wird, bedeutet Hilfe und Unterstützung für arme Länder. So sieht es China nicht. Hier geht um Handel, Investitionen, Finanzen – um den täglichen Handel. Und dies ist ein langer Weg in Ländern wie Afrika, in gewissem Maße auch in Südostasien und in Lateinamerika.  

Die Kernfrage für die EU lautet, wohin sie mit ihrer Konnektivitätstrategie oder ihrem Konnektivitätsrahmen geht. Dies ist ein wichtiger Bereich, in dem die EU als Gremium auf China als Entwicklungsakteur reagieren kann. Die EU kann nun Bereiche festlegen, in denen sie Strategien, Unterstützung und neue Ideen zur Förderung einer finanziell, ökologisch und sozial nachhaltigen Konnektivität bereitstellt. Die Frage ist, wie die EU diese wichtigen Nachhaltigkeitskonzepte in die Praxis umsetzen will. Wie wird sich die EU positionieren, wenn die USA und China ihren Wettbewerb um internationale Entwicklung und Konnektivität verstärken? Wo passen europäische Alternativen - basierend auf ihren Interessen, Prioritäten und Werten - hin? An diesen Antworten werden wir hier bei MERICS arbeiten. 

Erfahren Sie mehr über Chinas Rolle als Entwicklungsakteur, indem Sie sich den vollständigen Podcast anhören. 

 

Innenpolitik, Gesellschaft und Medien

Chinas Regierung schürt Fremdenfeindlichkeit durch „importierte“ Corona-Fälle

Von dem nach der Corona-Krise langsam wieder anlaufenden öffentlichen Leben in China spüren die im Land lebenden Ausländer bis jetzt wenig. Seitdem die chinesische Regierung (vor einiger Zeit) fast alle der offiziell gemeldeten Neuinfektionen auf „importierte“ Coronavirus-Fälle zurückführt, wurde Ausländern wiederholt der Zutritt zu Restaurants, Einkaufszentren und Büros verwehrt. Vereinzelt wurden Ausländer auf der Straße angeschrien, manche Chinesen wichen ausländischen Spaziergängern entsetzt aus.  

In der vergangenen Woche hat China  ohne asymptomatische Fälle – im Inland 22 neue Infektionen mit dem Coronavirus gemeldet. Im gleichen Zeitraum reisten nach offiziellen Angaben 216 Infizierte aus dem Ausland ein. Reuters berichtete Ende März, dass 90 Prozent der aus dem Ausland eingereisten Infizierten allerdings Inhaber eines chinesischen Passes sind. Dies ist eine Information, die in der wütenden Kritik in den chinesischen sozialen Netzwerken oft unterschlagen wird. China hatte zuvor bestehende Visa und ständige Aufenthaltsgenehmigungen von Ausländern bis auf weiteres annulliert  

In einem Post auf der chinesischen Plattform WeChat wird vor „ausländischem Müll“ gewarnt, der eine zweite Epidemie auslösen werde. Die Regierung in Beijing lenkt offenkundig die Aufmerksamkeit mit Absicht auf Ausländer, um von eigenem Versagen in der Krise abzulenken und für den Fall eines Wiederaufflammens der Corona-Epidemie einen Sündenbock zu haben 

Wirtschaft, Finanzen und Technologie

Eine halbe Million Unternehmensschließungen führen zu Rekordarbeitslosigkeit 

Es verdichten sich die Anzeichen, dass die chinesische Wirtschaft noch lange mit den Folgen der Corona-Krise zu tun haben wird. Beijings drakonische Maßnahmen zur Eindämmung der Epidemie haben 460.000 Unternehmen in die Knie gezwungen. Sie mussten ihren Betrieb im ersten Quartal einstellen. Die Neu-Registrierung von Unternehmen fiel im Vergleich zum Vorjahr um 29 Prozent auf 3,2 Millionen. Die Arbeitslosenquote in Chinas Städten erreichte daraufhin im Februar einen Rekordwert von 6,2 Prozent. Schätzungen zufolge wurden acht Millionen Menschen entlassen 

Die sich abzeichnende globale Rezession dürfte den Druck auf die Wirtschaft erhöhen. Konsumenten und Unternehmen in Schlüsselmärkten wie der EU und den USA, die ebenfalls unter der Corona-Krise leiden, dürften zu einer sinkenden Auslandsnachfrage beitragen. Darunter werden die exportorientierten Unternehmen, unter ihnen eine Vielzahl von KMUs, leiden. Zahlungsausfälle auf Unternehmens- und Privathaushaltsseite sind zunehmend wahrscheinlich. Zum ersten Mal seit 1976 dürfte Chinas Wirtschaft im ersten Quartal schrumpfen. 

China verlängert Subventionen für Elektrofahrzeuge

Beijing hat der für China zentralen Elektrofahrzeugbranche durch die Verlängerung von Subventionen neues Leben eingehaucht. Diese Maßnahmen dürften jedoch möglicherweise nicht ausreichen, um genügend Konsum anzuregen und eine Welle von Start-up-Insolvenzen zu verhindern. Die chinesische Regierung verlängerte die Steuererleichterungen für Käufer neuer Energiefahrzeuge (NEV) bis Ende 2022, um die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise abzumildern. 

Der Schritt des Staatsrates war bereits im Januar vom Industrieministerium angekündigt worden, wurde aber wahrscheinlich erst formalisiert, nachdem die Ausbreitung des Coronavirus die Nachfrage nach Autos dezimierte. Die Zentralregierung hat offensichtlich erkannt, dass die jüngsten Maßnahmen lokaler Regierungen zur Stimulierung von Autokäufen nicht ausreichen würden, um den Rückgang der NEV-Verkäufe abzufedern. Berichten zufolge erwägen verschiedene Regierungsstellen jedoch eine Kürzung der Subventionen um zehn Prozent im Laufe dieses Jahres sowie eine Reduzierung der NEV-Modelle, die für Preisnachlässe in Frage kämen. Beijing könnte diese Änderungen stillschweigend nutzen, um günstige chinesische NEVs gegenüber teureren ausländischen Modellen zu bevorzugen. 

MERICS Analyse: 

In der gemeinsam von der Rhodium Group und MERICS gestern erschienenen Studie Chinese FDI in Europe: 2019 Update argumentieren die Autoren Agatha Kratz und Thilo Hahnemann (RHG) sowie Mikko Huotari und Rebecca Arcesati (MERICS), dass die globale Corona-Pandemie sich 2020 massiv auf die globalen Kapitalströme und somit auch auf Chinas Auslandsinvestitionen auswirken dürfte. Der Shutdown großer Teile der chinesischen Wirtschaft im Februar und März hat bereits einen negativen Effekt auf Vertragsabschlüsse gezeigt. Vorläufige Daten weisen darauf hin, dass im ersten Quartal 2020 die chinesischen Auslandsinvestitionen auf den niedrigsten Wert innerhalb der letzten zehn Jahre gefallen sind. 

Aber die Krise schafft für chinesische Unternehmen auch Kaufoptionen in Europa und anderswo. So erwarben chinesische Firmen während vergangener Krisen vergünstigte Vermögenswerte auf der ganzen Welt. Ein Kaufrausch infolge der Corona-Krise ist jedoch aus Sicht der Autoren unwahrscheinlich. „Es ist zu erwarten, dass chinesische Unternehmer in Einzelfällen, z.B. in Großbritannien in der Chipindustrie oder in Deutschland im Automobilsektor, versuchen werden zuzugreifen. Die gesamtwirtschaftliche Lage in China macht das aber auch für diese Unternehmen nicht leicht. Europäische Stabilisierungs- und Abwehrmaßnahmen dürften das außerdem weitgehend verhindern“, sagt Mikko Huotari, Direktor des MERICS und Mitautor der Studie, die sie hier online lesen können. 

Im Profil

Vermisster Bürgerjournalist Chen Qiushi

Chen Qiushi (陈秋实) wird seit dem 6. Februar vermisst. Der Jurist hatte etwa zwei Wochen in Wuhan verbracht und als Bürgerjournalist vor allem über Twitter und Youtube über die Situation während der Corona-Epidemie berichtet. Er besuchte überlastete Krankenhäuser und interviewte Einheimische, die sich im Stich gelassen fühlten. So gab er Einblick in das wahre Ausmaß der Probleme vor Ort und dokumentierte das mangelhafte Handeln der Behörden.

Die Zahl seiner Follower in China als auch international stieg rasant an. Bekannt wurde seine Aussage in einem seiner Videos am 30. Januar: „Ich habe Angst. Vor mir ist die Krankheit, hinter mir die chinesische Staatsgewalt. Aber solange ich lebend in der Stadt bin, werde ich weiter berichten. Ich sage nur, was ich sehe und höre. [...] Ich habe keine Angst zu sterben – wieso sollte ich mich vor Dir fürchten, Kommunistische Partei?“

Chen Qiushi, Jahrgang 1985, hatte Jura an der Universität Heilongjiang studiert und nach seinem Abschluss für eine Anwaltskanzlei in Beijing gearbeitet. Es war nicht das erste Mal, dass er sich als Bürgerjournalist betätigte – bereits während der im Juni vergangenen Jahres ausgebrochenen Proteste in Hongkong berichtete er von Ort und Stelle in den sozialen Medien und geriet bereits damals von Seiten der Regierung unter Druck.  

Er richtete sich, wie er selbst in einem seiner Videos sagte, nicht ans Ausland. Sondern es ging ihm vor allem um die Verbreitung der Wahrheit unter seinen Landsleuten. Nun ist er, wie auch andere selbsternannte Bürgerjournalisten vor und nach ihm - die prominentesten Li Zehua und Fang Bin - verschwunden. Nach Informationen seiner Mutter und eines Freundes Chens wurde er unter Zwangsquarantäne gestellt. Sein Aufenthaltsort und Zustand sind allerdings nicht bekannt und die durchschnittliche Quarantänedauer von zwei Wochen ist längst überschritten. Zuletzt schalteten sich auch ausländische Medien und Regierungen ein – u.a. der US-Kongressabgeordnete Jim Banks - und forderten eine Aufklärung des Verschwindens der drei Journalisten.  

Die Recherchen von Bürgerjournalisten wie Chen überschreiten Grenzen, an denen chinesische Journalisten nicht vorbeikommen. Auf diese Weise zeigen sie Missstände auf, die andernfalls im Dunkeln geblieben wären. Chens Verschwinden und die Weigerung der Behörden, Informationen über seinen Verbleib bekanntzugeben, zeigen allerdings einmal mehr, auf welch harten Widerstand ein solcher Aktivismus in China trifft. Chens Twitter-Account wird seit seinem Verschwinden von Freunden weitergeführt. Und auch seine Videos und Dokumentationen sind im Ausland weiter zugänglich. Im chinesischen Internet ist über Chen Qiushi und seine Mitstreiter dagegen kaum noch etwas zu finden.